Ich war schockiert

Gemeindechef Sharon Fehr über Verbalattacken, Antisemitismus in Münster und »Freunde der Palästinenser«

Interview mit Heide Sobotka, Jüdische Allgemeine am 09.01.2018

Frage 1 Jüdische Allgemeine:                                                                              

Herr Fehr, Sie sind jüngst vom AfD-Ratsherrn Martin Schiller mit den Worten angegriffen worden: »Wahrscheinlich genießen Sie den schleichenden Verfall des Landes, welches Sie verachten.« Voraus ging Ihre Kritik an dem Tweet der stellvertretenden AfD-Bundesvorsitzenden Beatrix von Storch, in dem sie Flüchtlinge als »barbarische, muslimische, gruppen-vergewaltigende Männerhorden« pauschal diffamierte. Zeigt sich jetzt das wahre Gesicht der AfD?

Antwort Sharon

Ich war erschrocken über diese Reaktion auf meinen doch sehr sachlichen Kommentar auf die zügellosen Äußerungen der Bundesspitze der AfD. Die perfide Art, wie die AfD Ratsgruppe Münster semantisch zwischen „unserem deutschen Vaterland“ einerseits und „Ihrem“ andererseits unterscheidet, zeigt das das Staats- und Politikverständnis der AfD. Dass mir dann auch noch eine „Verachtung“ Deutschlands vorgeworfen wird, ist an unterirdischem Nonsens wohl kaum noch zu überbieten.

Frage 2 Jüdische Allgemeine:

Gab es davor schon einmal Auseinandersetzungen mit der AfD?

Antwort Sharon

Ja! Die AfD Münster bezog viele Wochen vor und während der Bundestagswahl 2017 ihren Info-Stamm-Platz in der Innenstadt Münster unmittelbar vor unserer Haustür. Es fanden dort häufiger Gegendemonstrationen statt: „Keine Stimme der AfD“. In Facebook beschrieb ich die Überzeugung der Demonstranten, mit der AfD sei keine soziale Politik, keine soziale Gerechtigkeit, keine Sicherheit geben. Sie habe zu allem kein Programm. Dazu die AfD Ratsgruppe erstmals: „(…) Gerade Sie wissen welche Gefahr (…) vor der Tür steht. (…) Die Ihnen jetzt (…) auf die Schulter klopfen, werden die Ersten sein die Sie im Stich lassen (…), wenn es darauf ankommt.“

Frage 3 Jüdische Allgemeine:

Wie haben denn die Münsteraner Bürger reagiert?

Antwort Sharon:

Mitglieder des Stadtrates Münster, Bürgermeister/Innen, die Politik, Kirchen, Gesellschaften haben

unmittelbar reagiert und ihre solidarische Verbundenheit mit unserer Gemeinde und mir erklärt. Sobald rechtspopulistische, rassistische, antisemitische Äußerungen wie jetzt aus der AfD Ratsgruppe Münster öffentlich bekannt werden, rückt bürgerschaftliches Engagement in Münster noch enger zusammen.

Frage 4 Jüdische Allgemeine:

Welchen Einfluss hat die AfD in Münster?

Antwort Sharon:

Nirgendwo hat die AfD bei den Bundestagswahl 2017 so schwach abgeschnitten wie in Münster. Sie blieb und bleibt mitunter 5 Prozent chancenlos. In Münster, der Stadt des Westfälischen Friedens sind Gemeinsinn orientiert, sie haben eine hohe Bereitschaft und Vermögen zur Diskussion. Da braucht es andere Beiträge als populistische Sprücheklopferei, um danach zu erklären: Alles sei nur ein Missverständnis!  Hiermit steht die AfD auf weiter breiter Flur allein. Auch andere, politisch rechts ausgerichtete Gruppierungen haben in Münster keine Chance. Sie scheinen sich eher auf das Ruhrgebiet (Dortmund – Hagen-Gelsenkirchen) zu konzentrieren

Frage 5 Jüdische Allgemeine:

Sie haben nach der Anfeindung durch die AfD viel Solidarität von anderen Parteien erfahren. Was bedeutet das für Sie und die Jüdische Gemeinde Münster?

Antwort Sharon:

Durch die Zunahme des Antisemitismus sind unsere Mitglieder höchst verunsichert. Die allermeisten legen großen Wert darauf, sich außerhalb unseres Jüdischen Gemeindezentrums „jüdisch neutral“ zu verhalten. Andererseits erleben wir durch die breite Solidarität in Münster, dass wir bei der bei der Konfrontation mit den menschenverachtenden, antisemitischen Sprüchen der AfD in Münster nicht allein gelassen sind. Es nimmt Ängste und verleiht die objektiv ungewisse Zukunftshoffnung, als jüdische Bürger/Innen nicht doch eines Tages an `s Kofferpacken denken zu müssen. 

Frage 6 Jüdische Allgemeine:

Als wie bedrohlich empfinden Sie das Gesamtklima in Deutschland, denn in Landstrichen Sachsens hat die AfD nicht nur fünf, sondern 35 Prozent der Stimmen erlangt.

Antwort Sharon:

Ich unterschätze sie nicht. Sie ist eine Partei, die Minderheiten in unserer Gesellschaft mit Anfeindungen, Schmähungen und Drohungen überzieht. Heute positioniert die AfD sich vorwiegend gegen geflüchtete Menschen, insbesondere gegen Muslime. Die Hassargumente aber sind austauschbar. Und wir wissen nicht, ob und wann sie gegen uns Juden ausgetauscht werden. Das macht uns Sorge.

Frage 7 Jüdische Allgemeine:

Ende Januar jährt sich zum 85. Mal Hitlers Wahl zum Reichskanzler. Er war demokratisch gewählt. Die AfD ist ebenfalls demokratisch gewählt worden. Sehen Sie Parallelen zu 1933?

Antwort Sharon:  

Ich sehe zumindest, dass sich öffentlich exponierte Mitglieder der AfD eines Vokabulars bedienen, das an die Zeit von 1933 bis 1945, dem großen Zivilisationsbruch, den die Nazis in Deutschland und in Europa verursacht haben, erinnert und Parallelen erkennen lässt. Auch die Antwort aus der AfD Ratsgruppe Münster, für die sich AfD Mitglied Martin Schiller outet, mag Assoziationen an die Stürmer Rhetorik wecken.

Frage 8 Jüdische Allgemeine:

Haben Sie in der Vergangenheit rechtsgerichtete Attacken gegen jüdische Einrichtungen erlebt?

Antwort Sharon:

Ja, es gab in zurückliegender Zeit immer wieder auch Attacken gegen unser jüdisches Gemeindezentrum in Münster. Der Gedenkstein der Stadt Münster in Erinnerung an die Zerstörung der Synagoge 1938 wurde immer wieder mit Hakenkreuzen beschmiert. Anonyme Täter entfernten ihn eines Tages gar komplett und wurde mit dem Neubau der Synagoge Münster neu nachgebildet. Dann gab es in den Achtzigerjahren einen Wurfbrandsatz (Molotowcocktail), in den 90er-Jahren flog eine Bürofensterscheibe ein und unmittelbar vor Jom Kipper 2015 schoss ein Unbekannter mit einer Waffe auf ein Fenster unseres neuen Gemeindefestsaals. Zu beobachten ist auch, dass je nach Ereignis in Israel sich Menschen hier ein Ventil suchen, um Frustrationen und Zorn gegen Israel an uns „abzuarbeiten“. Während des Gaza-Konflikts vor dreieinhalb Jahren

patrouillierten die »Freunde der Palästinenser« vor unserer Synagoge auf und ab und skandierten: “Juden, ihr Kindermörder, geht ins Gas!”. Das war echt heftig. Doch auch damals erfuhren wir eine große Solidarität aus der Stadtgesellschaft Münster.

Frage 9 Jüdische Allgemeine:

Werden Sie sich noch rechtlich mit Herrn Schiller auseinandersetzen?

Antwort Sharon:

Gegenwärtig denke ich nicht daran, zumal ich nicht beurteilen kann, ob dadurch, dass die AfD Ratsgruppe Münster mir die deutsche Staatsbürgerschaft abspricht und unterstellt, Deutschland zu hassen, der Tatbestand der antisemitischen Hetze erfüllt wird.

Wir dürfen gespannt sein, was von der AfD Ratsgruppe Münster noch zu erwarten steht, ehe sie sich selbst zerlegt haben wird.

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Mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Münster sprach Heide Sobotka

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