Leserbrief zur Nahost-Berichterstattung der Westfälischen Nachrichten vom 14. Juni 2025
Thoramantel mit Löwenmotiv – Symbol für Schutz, Würde und Stärke im Judentum

Prolog
„Ein Zitat, das verstört – und Vorurteile nährt“
Leserbrief zur Nahost-Berichterstattung der Westfälischen Nachrichten vom 14. Juni 2025
🟦 Ein biblisches Zitat auf der Titelseite der Tageszeitung des “Westfälischen Nachrichten” – aus dem Zusammenhang gerissen, missverständlich und potenziell antisemitisch aufgeladen: In einem offenen Leserbrief kritisiert Sharon Fehr, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Münster, die Berichterstattung der Westfälischen Nachrichten zur aktuellen Nahostlage und mahnt zu einem verantwortungsvollen Umgang mit religiösen Quellen.
An die Chefredaktion der Westfälischen Nachrichten
Betr.: Berichterstattung auf der Titelseite vom [Datum]: „Neuer Krieg in Nahost: Die Welt hofft auf baldige Deeskalation“ vom 14.06.2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit großer Irritation habe ich Ihre Berichterstattung auf der Titelseite zur aktuellen Lage im Nahen Osten gelesen.
Insbesondere die Auswahl und Einbettung eines biblischen Zitates aus dem 4. Buch Mose („…bis es die Beute verzehrt und das Blut der Erschlagenen trinkt“) im Kontext der israelischen Militäroperation halte ich für ausgesprochen problematisch.
Der zitierte Vers stammt ursprünglich aus den Segensworten des Propheten Bilam und beschreibt in seinem eigentlichen Kontext keineswegs ein blutrünstiges oder aggressives Verhalten, sondern verweist auf Schutz, Stärke und göttlichen Beistand. Die von Ihnen gewählte, drastische Übersetzung verzerrt diese Bedeutung erheblich und transportiert stattdessen Bilder, die geeignet sind, uralte antisemitische Stereotype zu bedienen – namentlich das Bild des blutrünstigen, grausamen Juden.
Gerade vor dem Hintergrund der aktuell dramatischen Lage, in der die jüdische Gemeinschaft weltweit mit massivem Antisemitismus konfrontiert ist, wäre von einer renommierten Tageszeitung besondere Sensibilität und ein verantwortungsbewusster Umgang mit religiösen Texten und historischen Kontexten zu erwarten. Die Verknüpfung einer so überspitzten Übersetzung mit einem aktuellen israelischen Militäreinsatz kann beim Leser unweigerlich den Eindruck erzeugen, als ginge Israel mit einer besonders jüdisch religiösen Grausamkeit vor, was der Komplexität der Situation in keiner Weise gerecht wird und einer fairen Berichterstattung widerspricht.
Ich bitte Sie daher um eine kritische interne Überprüfung Ihrer redaktionellen Entscheidung in diesem Fall – verbunden mit dem Wunsch, dass künftig bei der Auswahl und Kommentierung religiöser Texte, insbesondere aus dem Judentum, jene Sorgfalt und Differenzierung zur Anwendung kommt, die Ihre Berichte im Allgemeinen auszeichnet.
Freundliche Grüße
Sharon Fehr
Geschäftsführer
Epilog: Ein Bild spricht – und mahnt
Die Wahl des gelben Hintergrunds ist in der Bildbearbeitung (Adobe Photoshop Elements 2024) kein Zufall. Er steht – unausgesprochen, aber unübersehbar – für die historische Stigmatisierung jüdischer Menschen durch den gelben Stern: jenes Zeichen staatlich verordneter Ausgrenzung, das den Weg bereitete – von der gesellschaftlichen Markierung zur Entrechtung, von der systematischen Verachtung zur Deportation, und schließlich zur Vernichtung in den Lagern des nationalsozialistischen Deutschlands, die in Auschwitz ihr furchtbarstes Gesicht zeigte.
Inmitten dieses belasteten Farbtons erhebt sich der blaue Thoramantel mit dem goldenen Löwen – ein Sinnbild jüdischer Würde und religiöser Selbstbehauptung. Den Löwen, in der jüdischen Tradition Ausdruck von Stärke, Schutz und g“ttlicher Nähe, stelle ich bewusst dem verzerrenden biblischen Zitat entgegen, das in der hier angesprochenen Berichterstattung – meines Erachtens – in eine gefährlich suggestive Richtung gelenkt wird.
Dieses Bild ist damit mehr als bloße Illustration – gegen vereinfachende Bilder, die alte Stereotype bedienen.
Es setzt ein Zeichen gegen die pauschale Deutung religiöser Botschaften, gegen das Wiederaufgreifen uralter Stereotype – und es mahnt zu Sorgfalt, Differenzierung und Respekt im Umgang mit jüdischen Symbolen und religiösen Quellen.
Gerade in einer Zeit, in der jüdisches Leben in Europa wieder zunehmend unter Druck gerät, ist diese Verantwortung größer denn je.