Rede Sharon auf Einladung des Gewerkschaftsbundes Stadt Münster
„Nie wieder Krieg – nie wieder Faschismus, so das Leitwort des heutigen Tages, an dem heute vor 81 Jahren der 2. Weltkrieg begann (…)
Es ist der 1. September 1939, an ihm begann durch einen boshaften Wahnsinnigen und seines faschistischen und menschenverachtenden Gefolges eingefädelt, der 2. Weltkrieg. Er ging von Deutschland aus als inszenierter Verteidigungskrieg (…). Die Propagandamaschine der Nazis war längst schon angelaufen, als Stunden später die Kriegserklärung erfolgte.
„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“, so ist die Todesfuge von Paul Celan überschrieben.
Das Ergebnis: Geschätzte 80 Millionen Tote, einbezogen die Verbrechen und Kriegsfolgen, die meisten unter ihnen Zivilisten, dazu 6 Millionen Juden, unzählig viele Verwundete, verwüstete Länder, Massenelend.
Dieses Werk hatte Nazi-Deutschland vollbracht. (…)
Liebe Freunde, als Vertreter unserer Jüdischen Gemeinde in Münster möchte ich unbedingt darauf hinweisen, dass der Krieg gegen die jüdische Bevölkerung bereits weit vor dem 1. September 1939 begonnen hatte.
Die Ernennung Adolf Hitler 1933 zum deutschen Reichskanzler ist untrennbar mit der Judenverfolgung im Deutschen Reich verbunden. (…) Am 9. November 1938 wurden in der “Pogromnacht” überall in Deutschland Synagogen in Brand gesteckt und jüdische Geschäfte geplündert, zerstört. Das war in Münster, der Stadt des Westf. Friedens nicht viel anders, wo Juden nicht einmal mehr mit dem Paddelboot auf der Werse paddeln durften. (…) Was haben sie hinterlassen, die Nazis?
Wo sind ihre literarischen, künstlerischen, philosophischen, architektonischen Errungenschaften?
Nein, verehrte Damen und Herren, liebe Freunde, das Nazireich löste sich -G“tt lob – in null & nichts auf – nur ein Denkmal blieb übrig: die Überreste der KZs und an deren Spitze die einzige große Leistung der nationalsozialistischen Barbaren: Auschwitz und der Massenmord.
Daher heißt für uns aus jüdischer Perspektive die Losung der Zukunft:
NIE WIEDER OPFER! לעולם לא נהייה קורבן
(…) Dies, verehrte Damen und Herren, können wir nicht laut genug sagen, denn Nazis, Rechtspopulisten aller Couleur sind wieder unterwegs, hetzen in Kommentarspalten, in Parlamenten, in den sog. Sozialen Netzwerken und scheinen sich auch mehr und mehr in der Bundeswehr organisieren zu wollen.
(…) Nicht ohne Grund schrieb Bertolt Brecht bereits vor 60 Jahren:
„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“
Verehrte Damen und Herren, liebe Freunde, mit großer Sorge blicken wir auf die Entwicklung:
1. Dass unsere Synagogen und jüdische Schulen bewaffnet bewacht werden müssen;
2.Dass unsere jüd. G“ttesdienste und Veranstaltungen nur noch unter Polizeischutz stattfinden können;
3. Dass unsere Synagogen mit Videoüberwachung, mit bruch- und schusssicherem Glas und unsere Eingangsschleusen mit Panzerglas zunehmend mehr zu Hochsicherheitseinrichtungen umgebaut werden müssen. (…) Rechte Populisten sitzen …
heute in nahezu allen europäischen Parlamenten, aber eben auch im Deutschen Bundestag und in allen Landesparlamenten.
»Nie wieder!« bedeute kein ritualhaftes Gedenken, sondern Wachsamkeit, Streben nach gesellschaftlichem Miteinander, nach Empathie, Respekt, Menschenwürde und Pressefreiheit.
Liebe Freunde, alles Signale, die Reihen der Demokraten geschlossen zu halten, wachsam zu bleiben und jenen unsere Stimme verweigern,
die mit der Tradition der Faschisten nicht brechen wollen und
- vom Holocaust-Denkmal in Berlin als Denkmal der Schande reden
- mit relativierenden Behauptungen, Hitler und die Nazis seien ja nur ein Vogelschiss der deutschen Geschichte,
die Verbrechen der Nationalsozialisten verharmlosen oder gar umschreiben möchten.
Um Tacheles zu reden: Politikerinnen und Politiker, die außer Hass und Hetze keinerlei gangbare Lösungen für die aktuellen Herausforderungen unserer Gesellschaft anzubieten haben, sind in unseren demokratischen Parlamenten absolut (!) fehl am Platz!
Möge uns das Gedenken am heutigen Tage noch stärker aufrütteln, Judenhass, Antisemitismus, Rassismus, Hass auf alles Fremde und Ausgrenzung in all seinen Erscheinungsformen hörbar zu ächten und entschlossen zu bekämpfen.
Dazu bedarf es Beharrlichkeit sowie wie einer klugen, nachhaltigen Form der Gedenkens- und Erinnerungskultur hierzulande, die das Erinnern an gestern pflegt und zugleich das Handeln im Hier und heute stärkt (…).